Sind "Brandmauern" politisch sinnvoll?


Brandmauer gefallen:

CDU wählt Landtags-Vizepräsident der AfD

Die konstituierende Sitzung des Sächsischen Landtags verläuft harmonisch – und bietet bei der Wahl des AfD-Kandidaten zum Parlamentsvize im ersten Wahlgang eine faustdicke Überraschung.

DRESDEN. Der Sächsische Landtag hat mit erstaunlicher Mehrheit den AfD-Kandidaten André Wendt erneut zum Zweiten Landtagsvizepräsidenten gewählt. Der 53jährige erhielt bereits im ersten Wahlgang 84 Stimmen. Die AfD verfügt aber nur über 40 der insgesamt 120 Sitze.

Wendt erhielt somit mindestens 44 Stimmen aus den anderen Fraktionen. Da sich die sechs Linken-, die sieben Grünen- und die zehn SPD-Abgeordneten im Vorfeld weigerten, den AfD-Politiker zu wählen, dürften die Voten aus der CDU (41 Sitze) und dem BSW (15) gekommen sein. Sachsens BSW-Chefin Sabine Zimmermann gratulierte Wendt nach der Wahl auch mit einem Blumenstrauß. „Damit ist die Brandmauer praktisch gleich in der ersten Sitzung des neuen Landtags Makulatur“, freute sich Jan Zwerg, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion gegenüber der Bild-Zeitung.

Absprachen im Vorfeld der PräsidentenWahl?

Die Zusammensetzung des Sächsischen Landtags bietet nicht eine solche Brisanz wie die in Thüringen. Denn die AfD ist hier – wenn auch sehr knapp – nur zweitstärkste Fraktion hinter der CDU. Es sind keine Geschäftsordnungsänderungen notwendig, um ihren Anspruch auf den Parlamentspräsidenten zunichtezumachen. Den hat ohnehin die CDU.Offenbar hatte es in  im Vorfeld Absprachen zwischen CDU und AfD gegeben. Denn zuvor waren bereits die Wahlen zum Landtagspräsidenten und zur ersten Stellvertreterin mit großen Mehrheiten vonstatten gegangen. Der neue Parlamentschef Alexander Dierks (CDU) erhielt 97 von 119 Stimmen. Nur 14 stimmten mit Nein, acht enthielten sich.

Wer wird Sachsen regieren?

Auch CDU-Kandidatin Ines Sabarowski (57) bekam als Erste Vizepräsidentin 95 Stimmen – davon wahrscheinlich die meisten aus der CDU- und AfD-Fraktion. Anschließend folgte die Wahl des AfD-Mannes Wendt.

Schwierigkeiten, sich durchzusetzen hatten dagegen zwei andere Kandidaten. BSW-Mann Jörg Scheibe schaffte es erst im zweiten Wahlgang mit 71 Stimmen. Und Albrecht Pallas (SPD) mußte sogar drei Anläufe nehmen, bis er 60 Stimmen, die Hälfte aller Parlamentarier, erreichte. In Sachsen sondieren CDU, BSW und SPD derzeit über die Bildung einer Regierung. Sie haben 66 Mandate. Die bisherige schwarz-rot-grüne Koalition war am 1. September abgewählt worden. CDU und SPD erzielten dabei jeweils die schlechtesten Ergebnisse seit der Wiedervereinigung.


Was würde Franz Josef Strauß heute machen?

(KK) „Die Brandmauer, die die CDU gegenüber der AfD errichtet hat, schadet der Demokratie!“, schrieb der Philosoph und Publizist Alexander Grau kürzlich in einer Kolumne für die Zeitschrift Cicero. „Denn der Wunsch der Wähler nach einem Politikwechsel wird dadurch undurchführbar, da die CDU eine Regierung nur mit SPD oder Grünen bilden kann. Mit ihrer Brandmauer-Politik verurteilt die CDU das gesamte bürgerliche Lager dazu, linke Politprojekte mitzutragen, für die es keine Mehrheit gibt!“ Der renomierte Politikwissenschaftler Werner Patzelt sieht es ähnlich.

Doch jetzt baut CDU-Chef Friedrich Merz auch noch eine 2. "Brandmauer" gegenüber dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) auf, das bei der Europawahl erstaunlich gut abgeschnitten hat. Verständlich, dass BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht in einem Interview dazu bekennt: „Ich finde den Begriff ,Brandmauer‘ ziemlich dumm.“ Aber ist Wagenknecht nun links, konservativ oder gar linkskonservativ? Und was kann heute überhaupt noch als konservativ gelten? Ist der türkische Präsident Erdogan konservativ? Der Chinese Xi Jinpings. Oder die Saudis?

Kleiner Rückblick. Franz Josef Strauß kannte beileibe keine „Brandmauern“. Weder 1975 mit Mao in China, Juni 1983 mit Honecker in Ost-Berlin oder Dezember 1987 mit Gorbatschow in Moskau. Der lebenslang umstrittene Strauß heischte nicht nach den Beifall der veröffentlichten Meinung. Er war Staatsmann und Pragmatiker. Eines seiner Lieblingszitate: „Man muss dem Volk aufs Maul schauen, aber nicht nach dem Munde reden!“ Und er war erfolgreich.

Im wahrsten Sinne des Wortes überwand Strauß Vorurteile und riss "Brandmauern" ein. Es waren keine Alleingänge. In Abstimmung mit den Verbündeten verhandelte er weitsichtig und geschickt mit Diktatoren und Autokraten. Immer das Wohl der Deutschen im Auge. Gegen den Zeitgeist. Gegen die veröffentlichte Meinung. Ja nicht nur gegen den politischen Gegner im Lande, bisweilen sogar gegen eigene Parteifreunde. Siehe „DDR-Darlehen“ und Grundlagenvertrag. Beide Maßnahmen waren später dann wesentliche „Bausteine“ zur Überwindung einer tatsächlichen  Mauer und der deutschen Wiedervereinigung.

Fazit: Politik gestalten gegen den Zeitgeist, über Generationen hinweg, das unterscheidet Staatsmänner von Politikern. Doch erinnern wir uns noch weiter zurück: Im September 1955 verhandelte Konrad Adenauer in Moskau unbeugsam mit Nikita Chruschtschow. Ergebnis: Über 100 000 Kriegsgefangene wurden aus den sowjetischen Straflagern in die Heimat entlassen. - Also weiterhin  "Brandmauern"? Cui bono – wem nützt es?